energate News: Lieferverträge für Wasserstoff lassen auf sich warten
Essen (energate) - Industriekunden tun sich noch schwer mit der Unterschrift unter einen Wasserstoffliefervertrag. Da der echte Marktstart erst vier Jahre zurückliegt, sollten Marktteilnehmer aber nicht in eine "Wasserstoff-Depression" verfallen. Dies war der Tenor einer Podiumsdiskussion beim energate-Forum "Industry meets Energy" auf der Zeche Zollverein in Essen. Eine Ausnahme bei allem Warten: die Unterschrift von RWE und Total vom 12. März. Der Energiekonzern liefert ab 2030 bis 2044 jährlich rund 30.000 Tonnen grünen Wasserstoff an die Total-Raffinerie in Leuna. "Hier hat das Zusammenspiel der Regulatorik gewirkt, das sollte uns Mut machen", sagte Jasmin Kaboni-Voit, Director Hydrogen Regulatory & Funding bei RWE.
Der Energiekonzern hat für den schrittweisen Aufbau der 300-MW-Elektrolyseure am Standort Lingen einen dreistelligen Millionenbetrag aus dem IPCEI-Programm erhalten. Total dagegen vermeidet über die grünen Wasserstofflieferungen Strafzahlungen im Rahmen der Treibhausgasminderungsquote. Für weitere Vertragsabschlüsse mit Industriekunden müsse die neue Bundesregierung an den richtigen Stellschrauben drehen, forderte Kaboni-Voit. Die strengen Kriterien für den Einsatz von Strom zur Wasserstoffproduktion adressierte sie hier ebenso wie die 2029 auslaufende Netzentgeltbefreiung der Elektrolyseure. "Der Wasserstoffpreis ist zu hoch, da müssen wir ran", sagte sie in Essen.
Zwei Euro Einsparpotenzial pro Kilogramm
Auch Matthias Janssen von der Unternehmensberatung Frontier Economics teilte die Einschätzung, dass ein großer Hebel auf der Kostenseite liegt. Etwa 70 Prozent des grünen Wasserstoffpreises entfallen auf den Strompreis. Als Ökonom plädierte er dafür, eben nicht nur auf Umverteilungsmechanismen wie Netzentgeltentlastungen zu blicken, die am Ende der Bürger oder der Stromkunde bezahlt.
Janssen nannte gleich mehrere Ansätze, die nicht nur dem Wasserstoff, sondern dem gesamten Energiesystem zugutekämen: Einsparungen beim Stromnetz durch Freileitungen versus Erdkabel, kluge Ansätze beim Redispatch, mehr Solar-Freiflächenanlagen statt teure Aufdachanlagen. Ebenso wie Kaboni-Voit hält Janssen es für ungerecht, dass für E-Autos keine neuen Erneuerbaren-Anlagen gebaut werden müssen, für Elektrolyseure aber schon. Unter dem Strich erwartet der Ökonom damit mögliche Einsparungen von zwei Euro pro Kilogramm grünem Wasserstoff. Zur Einordnung: Auf dem Vorabendevent des energate-Forums wurden fünf Euro pro Kilogramm als "magische Grenze" für einen künftigen Wasserstoffpreis genannt. Unternehmen in der Mobilität und Logistikbranche könnten bereits mit zehn Euro ganz gut kalkulieren.
IPCEI-Verträge straffen
Auch der Konzern BP war auf dem Podium vertreten, der wie RWE ebenfalls in Lingen einen Elektrolyseur baut, aber mit 100 MW. Der dafür erforderliche IPCEI-Vertrag umfasste über 1.000 Seiten mit vielen Auflagen, die viel Zeit gekostet haben und das Projekt damit verteuern. "Das muss einfacher werden, daraus kann man lernen", appellierte Alexander Klatte, H2 & CCS Regulatory Lead bei BP. Im Koalitionsvertrag sei bereits angelegt, dass der IPCEI-Mechanismus erhalten, aber gestrafft werden soll. Und auch auf der Nachfrageseite sieht Klatte Handlungsbedarf, wenn auch mit Augenmaß. Denn Klimaschutzverträge oder Programme wie H2 Global würden am Ende auch Steuergelder verbrennen. Über die THG-Quote aber zahlten die Endkunden bereits heute an der Tankstelle die grüne Qualität mit.
Gasunie: Kernnetz kommt
Auch wenn die großen Wasserstoffverträge bisher noch fehlen, wirkte Anke Alvermann-Schuler der Ernüchterung im Wasserstoffmarkt entgegen. "Meine Botschaft ist, es passiert total viel", sagte sie als Head of Stakeholder Management im Wasserstoffbereich der Gasunie. Der niederländische Fernleitungsnetzbetreiber wird am Ende des Jahres die ersten 200 Kilometer Kernnetz fertig gebaut haben. "Anfang 2028 werden wir in der Lage sein, mit unseren Leitungen Wasserstoff von der niederländischen Grenze bis nach Hamburg zu bringen", blickte Alvermann-Schuler voraus. Ende 2029 werde das Stahlwerk von Salzgitter erreicht. Ein Puzzlestein der Komplexität sei im Wasserstoffmarkt durch das Kernnetz genommen, jetzt müssten Lösungen für den Off-Take gefunden werden.
Uwe Kerkmann von der Innovationsplattform H2HUB konnte dem Ende des vorherigen Wasserstoff-Hypes einiges abgewinnen. "Es ist ja gar nicht so schlecht, dass wir in eine realistische Phase kommen, sonst hätten wir am Ende noch ein Start-up gesehen, das einen Wasserstoffrasenmäher erfindet", scherzte er. Auch in seinen Augen braucht der Markt im Jahr vier einfach mehr Zeit. Eine Hundefutter-App zu entwickeln sei deutlich einfacher als Hardware wie Motoren für den Wasserstoffbereich.