energate News: Bundesnetzagentur legt Szenariorahmen bis 2045 fest
Bonn (energate) - Die Bundesnetzagentur hat die Szenariorahmen für Strom sowie Gas und Wasserstoff für die Netzentwicklungspläne 2025-2037/2045 offiziell genehmigt. Erstmals wurden die beiden Rahmen inhaltlich eng verzahnt erarbeitet. Präsident Klaus Müller sprach bei der Vorstellung von einer integrierten Netzentwicklungsplanung "mit breiter Perspektive", die eine koordinierte Betrachtung der deutschen Energieinfrastrukturen ermögliche. Die Szenariorahmen bildeten die Grundlage für die kommenden Netzentwicklungspläne und würden eine große Bandbreite möglicher Entwicklungen der Energieversorgung abdecken - von konservativen bis hin zu ambitionierten Dekarbonisierungspfaden. Ziel sei es, energiepolitische Optionen offenzuhalten, nicht vorwegzunehmen.
Im Strombereich bilden die drei genehmigten Szenarien - A, B und C - unterschiedliche Entwicklungspfade ab, die sich unter anderem hinsichtlich des Ausbaus der erneuerbaren Energien, des Stromverbrauchs, der Elektrifizierung sowie der Nutzung von Wasserstoff unterscheiden. Sie reichen von zurückhaltenden Annahmen mit stagnierender Industrie bis hin zu Szenarien, die von einer vollständigen Zielerreichung der Energiewende ausgehen. Die Bandbreite soll verschiedene politische Kurssetzungen abbilden und Flexibilität ermöglichen. Die Bundesnetzagentur reagiert damit auch auf Stimmen aus der Branche. Zuletzt hatten einige Akteure gefordert, dass die Ausbauziele aufgrund der verzögerten Elektrifizierung auch auf einen niedrigeren Stromverbrauch als bisher angenommen angepasst werden sollten.
Szenario mit verzögerter Elektrifizierung
Dem hat die Netzagentur mit dem Szenariopfad A Rechnung getragen. Darin ist der Nettostromverbrauch mit 774,8 TWh im Jahr 2037 und 868,7 TWh im Jahr 2045 am niedrigsten. Dies liegt an einer verzögerten Elektrifizierung, einem gemäßigten Ausbau der Erneuerbaren, einem geringeren Anstieg bei E-Mobilität und Wärmepumpen sowie einem höheren Anteil an Wasserstoffimporten. Die installierte Leistung erneuerbarer Energien erreicht hier bis zu 471,1 GW (2037) und 527,1 GW (2045), wobei insbesondere die Photovoltaik mit 315 GW und Wind Onshore mit 143,5 GW bis 2045 zurückhaltender ausgebaut werden als in den ambitionierteren Szenarien. Die Zahl der Wärmepumpen steigt auf 11,3 Mio. im Jahr 2045, die Elektrolyseleistung auf 31,6 GW.
Michael Jesberger, technischer Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Transnet BW, begrüßte, dass im Szenariorahmen nun auch ein Szenario enthalten ist, das den Vorstellungen seines Unternehmens sowie der beiden Übertragungsnetzbetreiber Amprion und 50 Hertz näher kommt. So könne der Netzausbau bedarfsgerecht optimiert werden.
Szenario B entspricht in vielen Punkten der Systementwicklungsstrategie 2024 des Bundeswirtschaftsministeriums und bildet den gesetzlich vorgegebenen Ausbaupfad ab. Der Stromverbrauch steigt auf 956,7 TWh im Jahr 2037 beziehungsweise 1.101,8 TWh im Jahr 2045. Die installierte Leistung der Erneuerbaren beträgt 638,6 GW (2045), darunter 400 GW PV und 160 GW Wind Onshore. Auch Power-to-Heat (26,1 GW) und Elektrolyseure (58,5 GW) sind stärker vertreten. Dieses Szenario geht von einer verstärkten direkten Elektrifizierung aller Sektoren aus.
Szenario C nimmt den ambitioniertesten Pfad mit maximaler Elektrifizierung, einem hohen Maß an Energieautarkie und hoher inländischer H2-Produktion sowie einem übererfüllten Erneuerbarenausbau an: Der Stromverbrauch steigt auf 994,2 TWh (2037) und 1.195,1 TWh (2045). Gleichzeitig ist der Zubau bei PV (440 GW) und Wind Onshore (176 GW) sowie der Elektrolysekapazität (70 GW) bis 2045 am höchsten. Die Zahl der Wärmepumpen liegt mit 14 Mio. höher als in den anderen Szenarien. Auch die Stromspeicherleistung erreicht hier Spitzenwerte - etwa 94,1 GW bei Großbatteriespeichern.
CO2-Abscheidung an Gaskraftwerken berücksichtigt
Die Gasnetzbetreiber sollen bei ihrer Netzmodellierung ein Szenario mit Gaskraftwerken und einer CO2-Abscheidung im Jahr 2045 berücksichtigen. Die Möglichkeit einer Abscheidung und Speicherung des CO2 (CCS), das an Gaskraftwerken anfällt, wird im Koalitionsvertrag erwähnt.
Die Netzbetreiber haben in ihrem Entwurf des Szenariorahmens vier Szenarien für die Modellierungen im Rahmen der Netzentwicklungsplanung vorgelegt. Drei der Szenarien basieren auf den Klimaneutralitätsszenarien, die für das Bundeswirtschaftsministerium seit 2021 erstellt und regelmäßig aktualisiert werden. Die Netzbetreiber hatten ein Szenario gewählt, bei dem Klimaneutralität vor allem direkt mit strombasierten Energieanwendungen erreicht wird, ein wasserstoffbasiertes Szenario und ein Szenario mit reduzierter Energieeffizienz.
Grundsätzlich monierte die Netzagentur, dass die Netzbetreiber veraltete Versionen der Szenarien verwendet haben. Sie hat deshalb in ihrer Genehmigung unter anderem die Ein- und Ausspeiseleistung für Wasserstoff und Erdgas in den verschiedenen Sektoren an die aktualisierten Szenarien angepasst. Das Szenario mit reduzierter Energieeffizienz ist für die Behörde in der von den Netzbetreibern verwendeten Form nicht genehmigungsfähig. Das Szenario sei veraltet und werde bei den Langfristszenarien nicht mehr verwendet, schreibt die Behörde in dem Genehmigungsdokument. Deshalb müsse dieses Szenario als Gaskraftwerksszenario genutzt werden. 2045 wird gemäß den Leistungsvorgaben der Netzagentur noch eine Leistung aus Gaskraftwerken von 22 GW elektrisch erwartet. Zusätzlich werden gemäß dem Szenario Wasserstoffkraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 59 GW in Betrieb sein. Die Gesamtleistung entspricht der von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Leistung für Wasserstoffkraftwerke von 81 GW.
Netzagentur definiert Kraftwerksliste
Die Bonner Behörde hat nicht nur die Leistungswerte an die aktualisierten Szenarien angepasst. Sie verpflichtet die Fernleitungsnetzbetreiber auch, bei der Modellierung Leistungswerte aus einer Kraftwerksliste anzusetzen, die von der Behörde vorgegeben ist. Diese Liste mit Erdgas- und Wasserstoffkraftwerken ist Teil des genehmigten Szenariorahmens. Sie sei in enger Abstimmung mit dem Szenariorahmen Strom erfolgt. Das genehmigte strom- und das wasserstoffbasierte Szenario enthalte nun die gleichen Gesamtkapazitäten und standortscharfen Kapazitäten wie die Szenarien im Strom-Szenariorahmen. Insgesamt verbessere sich die Abstimmung zwischen den Szenariorahmen Gas/Wasserstoff und Strom, betonte Müller. Perfekt sei sie aber noch nicht.
Die Gasnetzbetreiber wollen als viertes Szenario ein Versorgungssicherheitsszenario Gas modellieren, bei dem Erdgas länger genutzt wird. Für 2030 und 2037 sollte gemäß dem Entwurf des Szenariorahmens diese Variante modelliert werden. Für das Jahr 2030 akzeptiert die Netzagentur die Modellierung. Die für das Jahr 2037 lehnt die Behörde hingegen ab, weil sie die Entwicklungen bis 2045 nicht abbildet.
Die Netzbetreiber haben nun zehn Monate Zeit, die Vorgaben des Szenariorahmens in den Entwurf eines Netzentwicklungsplans mit entsprechenden Modellierungen für den Netzausbau umzusetzen. Zu welchem Ausbau es dann faktisch kommt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Die Planungen, so Müller, werden regelmäßig an die tatsächlichen Entwicklungen angepasst. Auch die Abstimmungen zwischen Gas/Wasserstoff- und Stromszenarien würden dann schrittweise verbessert.
Müller erklärte, dass die Szenarien bewusst keine Vorfestlegung auf ein "wahrscheinlichstes" Zukunftsbild enthalten. Vielmehr diene der breite "Trichter" der Vorbereitung auf unterschiedliche politische Entscheidungen - auch vor dem Hintergrund eines erwarteten neuen energiepolitischen Kurses der kommenden Bundesregierung.