energate News: "So wird es nichts mit dem Wasserstoffhochlauf"

Münster (energate) - Weil der Markthochlauf beim Wasserstoff nicht so läuft, wie erhofft, passt die Westfalen-Gruppe ihre Ziele im Wasserstoffgeschäft jetzt an die Realität an. Das kündigte Thomas Perkmann, Vorstandsvorsitzender der Westfalen AG, im Juli bei der Bilanzpressekonferenz in Münster an. Was das heißt und warum der Hochlauf unter den heutigen Bedingungen nicht funktioniert, erläutert er im Interview mit energate. 

energate: Herr Perkmann, die Westfalen-Gruppe hat angekündigt, dass sie ihre Ambitionen beim Wasserstoff zügeln will. Was bedeutet das?

Perkmann: Zunächst möchte ich betonen, dass wir grundsätzlich an das Potenzial von Wasserstoff glauben. Wir betreiben das Geschäft seit über 40 Jahren und haben auch vor, das weiterhin zu tun. Allerdings sehen wir auch, dass der Hochlauf gerade in Deutschland nicht mit der Geschwindigkeit erfolgt, wie wir uns das alle irgendwann mal gewünscht haben. Von daher haben wir unsere Wasserstoffziele - insbesondere für den deutschen Markt - angepasst und heruntergeschraubt. Wir müssen uns auf jene Projekte fokussieren, die sich für unsere Kunden rechnen. Und davon gibt es in den europäischen Nachbarländern einfach mehr.

energate: Warum tritt der Hochlauf in Deutschland auf der Stelle?

Perkmann: Dass sich der Markt nicht so entwickelt wie mal erhofft, ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass der Preisunterschied zwischen Erdgas und Wasserstoff viel zu hoch ist. Wenn Sie konventionellen Wasserstoff durch grünen Wasserstoff ersetzen, dann haben Sie es mit einem Preis-Gap um den Faktor zwei bis drei zu tun. Das ist noch irgendwie überbrückbar. In Deutschland diskutieren wir bislang aber darüber, mit grünem Wasserstoff den Energieträger Erdgas zu substituieren. Da haben wir heute einen Unterschied um den Faktor 6 bis 7. Das ist zu viel und daher unrealistisch. Genau deshalb entwickelt sich der hiesige Wasserstoffmarkt nicht.

energate: Befürchten Sie denn, der Hochlauf könnte ganz scheitern oder benötigt er nur mehr Zeit?

Perkmann: Ich muss ganz klar sagen: So wird es nichts mit dem Wasserstoffhochlauf in der Breite. Grundsätzlich sehen wir, wie bereits betont, das große Potenzial von Wasserstoff, aber als Unternehmen haben wir unsere Hoffnungen für einen massiven Hochlauf in Deutschland schon jetzt ins nächste Jahrzehnt geschoben. Im Moment entwickelt sich der Markt nur in gewissen Nischen, wenn überhaupt. Eine, die funktioniert, ist zum Beispiel der Ersatz von grauem Wasserstoff in Raffinerien. Dahinter stehen entsprechende Marktmechanismen. Ich kann mir daher gut vorstellen - und das wird immer deutlicher - dass sich zuerst dort ein Markt entwickelt, wo grauer Wasserstoff durch grünen Wasserstoff ersetzt werden kann, auch regulatorisch getrieben.

Wenn es aber darum geht, Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen, wird es komplexer. Um hier die immense Preislücke zu schließen, müssten zwei Dinge passieren: Erdgas muss durch CO2-Bepreisung teurer werden - ohne unsere Wirtschaft zu stark zu belasten - und der Wasserstoff muss deutlich, deutlich günstiger werden. Heute liegt der Produktionspreis bei rund 10 Euro/kg. Wenn Wasserstoff über Pipelines aus Südspanien kommen wird, sind es vielleicht noch 4 bis 5 Euro/kg. Dann kann es weitere Nischen geben, die funktionieren werden. Aber weite Teile des Erdgasmarktes auf Wasserstoff umzustellen, wie irgendwann am Anfang mal erträumt, wird auch so nicht gelingen.

energate: Was bräuchte es denn für einen flächendeckenden Hochlauf?

Perkmann: Wir brauchen Abnehmer, die den Preis bezahlen. Und das wird in den politischen Diskussionen bislang immer vergessen. Es geht um einen signifikant niedrigeren Wasserstoffpreis. Erste regulatorische Schritte dafür wären eine Senkung der Stromkosten und eine Lockerung der Kriterien für grünen Wasserstoff. Hier schießen wir über das Ziel hinaus.

energate: Sie sind mit der Elektrolyse ja auch in anderen Ländern unterwegs. Läuft es da besser?

Perkmann: Wir setzen zurzeit ein erstes konkretes Projekt in Frankreich um und verfolgen weitere Projekte in unseren westlichen Nachbarländern. Vor allem aber sehen wir den Realismus im österreichischen Markt als ein Vorbild, weil das Land sukzessive versucht, grauen durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz. In Deutschland beginnen wir mit der Umstellung der Rohstahlproduktion und machen uns es auch sonst künstlich schwer. Dazu gehören auch die Förderkriterien. Hierzulande sind wir extrem ambitioniert auf ein komplett grünes Szenario fokussiert und überspringen eigentlich den dazugehörigen Hochlauf. Damit verteuern wir Wasserstoff künstlich. Als Westfalen konzentrieren wir uns jetzt mehr auf das Ausland, was eigentlich schade ist, weil Deutschland unser Kernmarkt ist.

energate: Das mit den Kriterien müssen Sie erläutern.

Perkmann: Wir haben zum Beispiel in Bayern einen Elektrolyseur geplant, mit Strom aus einer Müllverbrennungsanlage. Auf halber Strecke haben sich hier aber die Förderbedingungen geändert. Als wir den Antrag eingereicht haben, war dieser Strom noch grün genug, als wir den Bescheid bekommen haben, nicht mehr. Letztendlich mussten wir das Projekt beenden, weil es sich nicht mehr gerechnet hat. Mit der Anforderung aus der RED II nach Gleichzeitigkeit und Zusätzlichkeit reduziert man die jährliche Auslastung der Anlagen enorm, was jeden Business Case unnötig belastet.

energate: Können die politischen Förderprogramme und -mechanismen hier nicht für einen Ausgleich sorgen?

Perkmann: Im Augenblick zäumen wir hier aus meiner Sicht das Pferd von der falschen Seite auf. Die wesentlichen Technologien im Klimaschutz wie grüner Wasserstoff, aber auch E-Mobilität und Wärmepumpen leben von günstigem Strom. Wenn ich den habe, dann setzen sich diese Technologien vielleicht noch nicht automatisch durch, aber dann haben sie viel bessere Chancen, weil sie sich für den Kunden rechnen. Ich denke, die Politik müsste dort ansetzen und Strom wirklich günstig machen, statt am hinteren Ende Wärmepumpen, E-Autos und Elektrolyseure mit komplexen Instrumenten und hohem bürokratischen Aufwand zu fördern.

Ich finde zudem auch, dass wir heute im Bereich Wasserstoff den Mittelstand und dessen Möglichkeiten komplett ignorieren. Wir investieren sehr, sehr viel Geld in große Netze, aber haben eigentlich die Abnehmer für das bestehende Preisniveau von Wasserstoff gar nicht. Wir könnten heute schon vor allem im mittelständischen Bereich mehr tun, weil wir nicht auf die Netze warten müssen, sondern mit Trailer-Lösungen und dezentralen Erzeugungen bereits seit Jahrzehnten am Markt sind. Es ist verständlich, dass sich die Politik auf Großprojekte konzentriert, weil da ein großer Hebel liegt. Aber auch im Mittelstand ist Potenzial - und zwar hier und jetzt. Das sollte man auch nutzen.

energate: Warum passiert das nicht? Warum wird dieses Potenzial nicht gehoben?

Perkmann: Wir versorgen über 60.000 klein- und mittelständische Unternehmen mit unseren Produkten und haben so einen tiefen Blick in den deutschen Mittelstand hinein. Und ich muss sagen, wir sehen viele gute Pilotprojekte. Projekte, die technisch sehr gut funktionieren mit Wasserstoff.

Am Ende sagen jedoch die Unternehmen, den Preis können wir nicht zahlen bzw. den Mehrpreis bekommen wir nicht bezahlt von unseren Kunden, und steigen deshalb wieder auf Erdgas um - und das sehen wir in der gesamten Breite. Die Mittelständler sind alle interessiert und alle finden Wasserstoff gut, aber keiner ist am Ende bereit, Projekte umzusetzen, bei denen sie draufzahlen. Wir haben das mit unserem Elektrolyseur-Projekt in Bayern selbst gesehen, bei dem wir auch die Notbremse ziehen mussten. Der Hochlauf stockt und wenn jetzt keine regulatorischen Impulse kommen, werden wir keine Möglichkeit haben, mit Wasserstoff in die Breite zu gehen. Wir müssen hierzulande die künstlich angezogene Bremse wieder lösen.

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energate News: Neue Wasserstoffgesellschaft für die Rhein-Ruhr-Region

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energate News: Hohe Preise bremsen deutschen Wasserstoffmarkt